Unter der Prognose menschlichen Sozialverhaltens versteht Angewandte Kriminologie die Beschreibung von Risiken, die das Verhalten einer Person in ihren sozialen Bezügen darstellen kann. Es geht um Risikomanagement unter zu spezifizierenden Bedingungen - nicht um die 'klinische' Beschreibung der Entfaltung eines Gegebenen. Wir verabschieden wir uns auch hier vom "myth of the given" (W. v. O. Quine) krimineller Persönlichkeit, gar einer Ontologisierung 'des  Bösen'. Es geht in der Prognose um die Beschreibung begründbarer Szenarien der Entwicklung individuellen Verhaltens und der Chancen zur Minimierung jeweils spezifischer möglicher Risiken.

Es geht also um die systematische Berücksichtigung der spezifischen Lebensbedingungen von Klienten. Schon in der Diagnose, erst recht in der Prognose  bewähren sich - auch nach Bekunden der Auftraggeber - meine Erfahrungen als Organisations- und Personalentwickler. Besonders sind hier Erfahrungen zu nennen mit Organisationsformen und Abläufen:

  • in Justiz und Justizvollzug (z. B. mit den Arbeitsbedingungen und -abläufen in Justizvollzugsanstalten verschiedener Sicherheitsstufen)

  • in Verwaltungen und Dienststellen, mit denen gelockerte und entlassene Gefangene konfrontiert sind (z. B. die komplexe Beratungs- und Förderungs-Landschaft) und

  • in Differenzierungen der beruflichen Bildung und der betrieblichen Wirklichkeiten (z. B. die Modularisierung der beruflichen Bildung, die sowohl der 'Wirtschaftslage' wie eingeschränkten Bildungsmöglichkeiten Einzelner gerecht werden kann).

Die genannten Aspekte bestimmen z. B. die Möglichkeiten eines Risikomanagements durch Zusammenarbeit von Justiz, Justizvollzug, Betrieben und Betroffenen im Zusammenhang des Freigängerstatus' eines Gefangenen im offenen Vollzug - also die Chancen gezielten und systematischen Risikomanagements unter konkreten sozialen Bedingungen.

Mein 'Migrationshintergrund' und Erfahrungen in verschiedenen Kulturen und Lebenswelten erscheinen in den letzten Jahren eine Beauftragung mit Einzelfällen zu begünstigen, in denen 'Multikulturalität' und 'hybride Identität' (Nederveen Pieterse) für die Betroffenen eine irreduzible Rolle spielen. Bei genauerem Hinsehen lassen sich - allerdings auch in 'monokulturellen Fällen' - Parallelen nicht von der Hand weisen zwischen

  • einem institutionell integrierten Risikomanagement für das Sozialverhalten von Strafentlassenen einerseits und

  • dem Einsatz partizipativer Planungen im Lebensraum marginalisierter Bevölkerungen (einem zeitgemäßen Verständnis von 'Entwicklungshilfe') andererseits.

Eine Parallele der Arbeitsfelder besteht im Versuch einer   komplexen Vorausschau auf angezielte Compliance in sozial extremen Lebenslagen. Dies verbindet die Arbeitsfelder Kriminalprognose und 'Entwicklungshilfe'. Betroffene werden zu beiderseits verbindlich Zu-Beteiligenden.

Wenn es Wirklichkeitssinn gibt, muss es auch Möglichkeitssinn geben ... Entwicklung ist zurzeit noch im Fluss und bedeutet für den einzelnen Menschen sowohl eine Schwäche wie eine Kraft. (R. Musil)